In den Kirchen tauchen neue unangepasste Jugendgruppen auf. Die Basis der ehemaligen Neustädter Offenen Arbeit wirkt in privaten Hauskreisen weiter. Ständig beobachtet und bedrängt durch staatliche Stellen und das MfS. Etliche verlassen die DDR, andere bleiben, um die Zustände zu verändern und einige werden verhaftet. Viele der Bewegten suchen neue Formen des Widerstandes und engagieren sich in Friedens- und Umweltgruppen. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gehören ehemalige Mitglieder der OA zu den Unerschrockenen, die offen den aufrechten Gang wagen. Bis 1989 werden diese Protagonisten Teil der Opposition, die das System der Gesinnungsdiktatur zum Einsturz bringt.
Nach der Verhaftung und Verurteilung Lothar Rochaus bot die Christusgemeinde in der Freiimfelder Straße mit Stadtjugendpfarrer Siegfried Neher eine Anlaufstation für Jugendliche und junge Erwachsene aus der Offenen Arbeit Halle-Neustadt. Mit den Punks wartete dort aber bereits die nächste Generation von „negativ-feindlichen Elementen“ auf.
Zukünftige Vorhaben der nunmehr ehemaligen Mitglieder der OA wurden in drei Hauskreisen mit wechselnder Besetzung geplant. Das Ende der Offenen Arbeit war für viele ihrer übrig gebliebenen Protagonisten ein einschneidendes Erlebnis. Die dramatischen Ereignisse der vergangenen Jahre machten ihnen bewusst, welche Konsequenzen kritisches Handeln in einer Diktatur haben konnte. Einige wendeten sich von den Verhältnissen in der DDR ab und reisten aus, andere wurden zur Ausreise gedrängt. Die Mehrzahl entschied sich für das Hierbleiben und Verändern der Zustände.
Die OA-Gruppe zerstreute sich nach 1983. Ihre Mitglieder engagierten sich in neuen Gruppen wie „Frauen für den Frieden“, die ein atomwaffenfreies Europa in Ost und West forderten. Einige arbeiteten weiter in Umwelt-Gruppen wie der Ökologischen Arbeitsgruppe Halle (ÖAG), andere schlossen sich Menschenrechtsgruppen an. Das geschah Mitte der 1980er Jahre noch überwiegend im kirchlichen Rahmen, teilweise aber lösten sich die Initiativen bereits aus diesem schützenden Verband heraus. Mit Untergrundzeitschriften und spektakulären Aktionen machten sie etwa auf die katastrophalen Umweltverhältnisse in der DDR aufmerksam. Eine offen oppositionelle Bewegung entwickelte sich republikweit, und ehemalige OAler waren daran beteiligt. Dabei stellte sich im Verlauf der 80er Jahre eine gewisse Routine im Umgang mit dem MfS und den staatlichen Stellen ein.
1987 gründete sich schließlich in Berlin die „Kirche von Unten“ (KvU). Teile des alten OA-Netzwerkes wurden reaktiviert. Die Kirchenführung setzte auf Ausgleich mit dem Staat. Ihr setzte sich nun eine ernstzunehmende innerkirchliche Opposition entgegen.
Wo immer etwas passierte, Protagonisten der Offenen Arbeit, unter ihnen ehemalige OAler aus Ha-Neu, waren stets zugegen. So auch im Jahr der friedlichen Revolution 1989. Etwa bei der Aufdeckung des Wahlbetruges im Mai oder der ersten Montagsdemonstration im Oktober. Am 26. Oktober des Jahres mussten staatliche Vertreter auf einer freien Bürgerversammlung auch ihnen das erste Mal Rede und Antwort stehen. Das System fiel zusammen.
Doch dieser Sieg war auch mit Opfern verbunden. Stundenlange Verhöre, Haft, Überwachung, die Verweigerung von Studienplätzen und Ausreisen prägten die Biographien der Einzelnen. Auch tragische Verluste. Wie der ungeklärte Tod des Freundes und Jenaer OA-Aktivisten Matthias Domaschk in der MfS-Untersuchungshaftanstalt Gera.
1990 öffneten sich mit Gründung der Stasi-Unterlagenbehörde die Archive der Staatssicherheit. Geahnt hatten es die meisten schon vorher, doch nun offenbarte sich das ganze Ausmaß der Überwachung. Einige ehemalige Mitstreiter und Weggefährten wurden als Verräter entlarvt.
Hunderte junge Menschen hatten im Laufe der sechs Jahre Kontakt zur Offenen Arbeit in Halle-Neustadt – ob getauft oder nicht. Manche wegen Problemen mit dem Staat, sich selbst oder ihren Familien, andere befanden sich auf der großen Suche. Wieder andere waren wegen des gebotenen Freiraums gekommen, etliche aus jugendlicher Freude am Feiern. Für sie alle wurde die Passendorfer Kirche in der prägenden Phase des Erwachsenwerdens zum Zentrum ihres Lebens. Doch sie bildeten kein gleichmachendes Kollektiv. Vielmehr gestalteten sie in Offener Arbeit eine Gemeinschaft höchst verschiedener Individualisten.