Chronologie

Phase 1

Herbst 1977 Lothar Rochau tritt seinen Dienst als Jugenddiakon in der Gemeinde Halle-Neustadt an. Arbeitgeber ist der Kirchenkreis Halle

Frühjahr 1978 Erstes Werkstatt-Treffen der Offenen Arbeit

20.-22.10.1978 Die auf 250 Besucher gestiegene Besucherzahl zur 2. Veranstaltung zieht die Aufmerksamkeit staatlicher Stellen auf diese neue Art der „Jungen Gemeinde“. Fortan heißen die Gemeindefeste Werkstattage

30.11.1978 Die Kreisdienststelle (KD) Halle-Neustadt des MfS eröffnet den Operativen Vorgang (OV) „Obstakel“ mit der Zielstellung, dem Jugenddiakon „Staatsfeindliche Hetze“ (§ 106) nachzuweisen

25./26.5.1979 3. Werkstattage mit 300 bis 400 Teilnehmern. Der Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Dr. Werner Krusche, nimmt daran teil. Sein Visitationsbericht vom Frühling 1980 hebt die OA als wertvoll und notwendig hervor.

19./20.10.1979 Die 4. Werkstattage bieten neben einem reichhaltigen Programm auch  regimekritischen Künstlern vor ca. 500 Besuchern eine Bühne. Staatliche Beschwerden machen anhand der Großveranstaltung die Offene Arbeit in Halle-Neustadt zum Politikum

30.10.1979 Aussprache zwischen Gemeindeleitung und stellvertretendem Oberbürgermeister Halle-Neustadt im Klubhaus „J. R. Becher“. Im Ergebnis wird der Gemeindeleitung von der Abteilung Inneres eine Zensurfunktion für Planung und Durchführung künftiger Veranstaltungen auferlegt

16./17.5.1980 Die 5. Werkstattage ziehen über 700 Teilnehmer auf dem Gelände der Passendorfer Kirche in ihren Bann. „Eine starke Ansammlung Jugendlicher“ führt zu fingierten Bürgereingaben

24.6.1980 Aussprache der Gemeindeleitung mit dem stellvertretenden Oberbürgermeister Halle-Neustadts bezüglich der 5. Werkstattage. Die Gesprächskonzeption sieht vor, der Gemeindeleitung nahezulegen, weitere Werkstattage in Halle-Neustadt in der bisherigen Weise zu unterbinden

27.10.1980 Die Gemeindeleitung untersagt weitere Großveranstaltungen auf dem Gelände der Passendorfer Kirchengemeinde. Begründet wird die Entscheidung mit der Überlastung der Gemeinde aufgrund der stetig steigenden Teilnehmerzahl

Phase 2

2.1.1981: Durch den IMB „Frank Krüger“ wird dem MfS  bekannt, dass Lothar Rochau und drei andere Personen in einer „Widerstandsgruppe“ tätig sind. Eine Nichtstrukturelle Arbeitsgruppe (NSAG) der Abt. XX der Bezirksverwaltung (BV) übernimmt die Bearbeitung der Gruppe und eröffnet den Operativen Vorgang „Konventikel“

20.3.1981 Die beiden Mitglieder der vermeintlichen „Widerstandsgruppe“ Gunter Preine und Friedemann Rösel werden verhaftet. Lothar Rochau bleibt aus strategischen Gründen vorerst unbehelligt

30.3.1981 Der zur Aussprache in den Rat des Bezirks Halle geladene Bischof Krusche wird vom 1. Stellvertreter des Bezirks, Abt. Inneres über die Verhaftung von Preine und Rösel sowie über die Mitwirkung von Rochau informiert. Bezirksstaatsanwalt Trautmann fordert disziplinarrechtliche Konsequenzen für den Jugenddiakon

April 1981 Etliche kircheninterne Aussprachen zur Klärung des Sachverhalts „Widerstandsgruppe“ finden im Kirchenkreis mit (und ohne) Lothar Rochau statt. Kernpunkt der Gespräche ist die Frage der Gefährdung von Jugendlichen durch den Jugendiakon

21.4.1981 Aussprache im Rat des Bezirks Halle. Der wiederholten Forderung nach Versetzung des Jugenddiakons begegnet der Bischof abschlägig. Der Bezirksstaatsanwalt verweist auf die bevorstehende Verurteilung der verhafteten Preine und Rösel, fordert eine „angemessene“ Reaktion der Kirche für diesen Fall und stellt in Aussicht, von einer Strafverfolgung des Jugenddiakons abzusehen

19./20.6.1981 Die 6. Werkstattage finden in der Christusgemeinde in der Freiimfelder Straße statt

21., 22., 27.7.1981 Strafprozess gegen Preine und Rösel vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Halle endet mit der Urteilsverkündung: je 30 Monate Haft

14.9.1981 Gespräch beim Rat des Bezirkes zwischen Bischof und Staatsvertretern: Der erste Stellvertreter des Ratsvorsitzenden verlangt die Versetzung Rochaus aus dem Kirchenkreis und stellt im Gegenzug die vorzeitige Haftentlassung der Verurteilten in Aussicht

Phase 3

16.9.1981 Der Rat der Kirchenleitung in Magdeburg empfiehlt dem Kreiskirchenrat Halle, Lothar Rochau im gegenseitigen Einvernehmen mit der Gemeinde Halle-Neustadt aus seiner Arbeit als Jugenddiakon herauszulösen und gemeinsam eine neue Anstellung für ihn im Kirchenkreis zu finden

1.10.1981 In der Gemeindeleitungssitzung informiert Oberkonsistorialrat Hammer (OibE „Detlef“) über den Ausgang des Gerichtsverfahrens gegen Preine und Rösel. Die Gemeindeleitung Halle-Neustadt kommt daraufhin zu der Einschätzung, dass die Frage der Versetzung Rochaus aufgrund der Magdeburger Empfehlung unbedingt zu klären ist

15.10.1981 Die Gemeindeleitung Halle-Neustadt beschließt, dass „die Jugendarbeit von Rochau nicht mehr verantwortet werden“ kann. Der Beschluss geht an den Kreiskirchenrat mit der Bitte um Auflösung des Arbeitsverhältnisses

5.11.1981 Eine Aussprache zwischen Gemeindeleitung und Jugenddiakon Rochau endet trotz der  Beteiligung von Propst Bäumer und Landesjugendpfarrer Stauss mit der Feststellung, dass „unter den gegebenen Umständen keine Möglichkeit der Fortsetzung der Arbeit von Herrn Rochau“ erkennbar sei.

7./8.11.1981 Gottesdienst „Die Brücke“ im Rahmen der Friedensdekade 1981 mit Marsch zwischen Kirchen (Laurentius, Bartholomäus, Petrus) findet enorme Zustimmung unter Jugendlichen mit ca. 600 Teilnehmern. Rochau predigt bei der Veranstaltung

20.11.1981 Die MfS-Kreisdienststelle Halle-Neustadt eröffnet den Operativen Vorgang „Prävention“. Ziel: Lothar Rochau  strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen

31.12.1981 Die Silvesterfeier der JG in den Gemeinderäumen erregt Unmut unter den Hauptamtlichen der Gemeinde und gibt Anlass zu Beschwerden staatlicherseits.

28.1.1982 Zur Vorbereitung des Votums des Kreiskirchenrats findet ein Treffen zur Vermittlung zwischen Vertretern des Kirchenkreises, der Gemeindeleitung und der Offenen Arbeit statt. Das Gespräch bleibt ergebnislos.

13.2.1982 Beteiligung der OA Ha-Neu am Dresdner Friedensforum

15.2.1982 Der Kreiskirchenrat beschließt im Beisein des Bruderältesten der Neinstedter Anstalten, in Zukunft Jugendarbeit in Halle-Neustadt ohne Rochau zu betreiben. Für einen Verbleib im Kirchendienst wird dem Jugenddiakon Unterstützung dabei zugesagt, sich bis zum 1.9.1981 eine Arbeitsstelle außerhalb Halle-Neustadts zu suchen. Der Gemeindeleitung Halle-Neustadt wird empfohlen, die entstandenen Probleme aufzuarbeiten und die Jugendarbeit neu aufzustellen

18./19.6.1982 Die 7. Werkstattage  finden in der Luthergemeinde in der Damaschkestraße statt

9.7.1982 In der Ratssitzung der Kirchenleitung in Magdeburg informiert Superintendent Hartmann darüber, dass eine weitere Beschäftigung des Jugenddiakons im Kirchenkreis Halle aussichtslos erscheint. Aufgrund der ablaufenden Übergangszeit wird empfohlen, Rochau mit Wirkung zum 1.9.1982 vom Dienst zu suspendieren

12.7.1982 Da bisher alle Versuche gescheitert sind, eine neue Dienststelle für Lothar Rochau im Kirchenkreis zu finden, beschließt der Kreiskirchenrat, „Herrn Rochau von der Jugendarbeit ab 1.9.1982 zu entbinden und in einen anderen Dienst zu überführen“. Offiziell hat der Jugenddiakon ab September 1982 Studienurlaub

30.7.1982 Abschlussfest der OA für Rochau auf dem Gemeindegelände wird zum Anlass für Beschwerden einzelner hauptamtlicher Vertreter der Kirchengemeinde

Ende August 1982 Auseinandersetzungen zwischen Vertretern der OA und der Gemeindeleitung über die Fortsetzung der Jugendarbeit auf dem Gelände der Passendorfer Kirche

Phase 4

10.9.1982 In Anwesenheit des Stadtjugendpfarrers kommt es über die Herausgabe des Schlüssels für den Bauwagen zum Eklat zwischen hauptamtlichen Vertretern der Kirchengemeinde und Amtsträgern des Kirchenkreis. Superintendent Hartmann erwägt eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen zwei Pfarrer der Gemeinde

22.9.1982 Sondersitzung der Gemeindeleitung vom des Superintendenten zur Frage der Fortsetzung der Jugendarbeit in Halle-Neustadt einberufen. Die Kirchengemeinde verweigert Personal, Ressourcen und Zugang für die Betreuung der OA-Jugend in der Form wie bisher. Zwei Abende pro Woche werden angeboten

Oktober 1982 OA und Lothar Rochau verlagern die Jugendarbeit in Hauskreise und nehmen aktiv an der Friedensdekade teil. Einen kirchlichen Dienstauftrag für die Fortführung der OA hat Rochau nicht

11.10.1982 Sitzung des Kreiskirchenrats entscheidet über die Anfrage der OA, die Hauskreisarbeit zu tragen. Festgestellt wird, dass die Jugendarbeit in Halle-Neustadt nicht mit Personal des Kirchenkreises aufrecht erhalten werden kann. Zudem wird Rochau aufgefordert, die Hauskreisarbeit nicht fortzusetzen

15.11.1982 Der Kreiskirchenrat beschließt aufgrund der trotz Aufforderungen zur Unterlassung aktiv betriebenen Verselbständigung der OA, Lothar Rochau zu kündigen: „Der Kreiskirchenrat sieht sich außer Stande, über den 1.3.1983 hinaus die Verantwortung für das arbeitsrechtliche Verhältnis wahrzunehmen“

30.11.1982 Lothar Rochau wird schriftlich vom Kreiskirchenrat zum 28.2.1983 gekündigt

19.5.1983 Die OA mischt sich unter die offizielle Friedensmanifestation beim FDJ-Pfingsttreffen, um für den Frieden zu demonstrieren

Ende Mai 1983 Die offene Observation Rochaus beginnt

5.6.1983 Ca. 150 Freunde der „Offenen Arbeit“ beteiligen sich an einer Fahrraddemonstration zum Weltumwelttag mit Ziel Chemische Werke Buna

Phase 5

23.6.1983 Lothar Rochau wird verhaftet und in die MfS-Untersuchungshaftanstalt „Roter Ochse“ verbracht

31.8.1983 Verhaftung Katrin Eigenfelds in Vorbereitung einer Aktion zum Weltfriedenstag 1983

6.9.1983 Der Prozess gegen Lothar Rochau wird eröffnet

16.9.1983 Urteilsverkündung im Prozess gegen Rochau: 3 Jahre Freiheitsentzug

Ende September 1983 Westdeutsche Printmedien vermelden die Verurteilung. Der Rechtsanwalt Schnur eröffnet daraufhin dem Inhaftierten, dass nur noch der Antrag auf Ausbürgerung übrig bleibt

31.10.1983 Eine Delegation der westdeutschen Bundestagsfraktion Die Grünen setzt sich bei Erich Honecker für die Freilassung von Katrin Eigenfeld und Lothar Rochau ein

1.11.1983 Katrin Eigenfeld wird aus der Haft entlassen

10.11.1983 Lothar Rochau stellt Antrag auf Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft

1.12.1983 Rochau wird in die Bundesrepublik abgeschoben. Seine Familie folgt Anfang 1984