Teil 2 – Ausbruch

Ab 1979 überfordern die Besucherzahlen der Werkstattage die Kapazitäten der Kirche. Die Staatssicherheit beobachtet den Störfall der sozialistischen Normalität bereits mit Argwohn. Als im Oktober des Jahres zu den 4. Werkstattagen unliebsame Künstler auftreten, gehen die staatlichen Stellen in die Offensive über. Für die Unterbindung der Werkstattage in Halle-Neustadt soll die Kirchengemeinde verpflichtet werden. Der Staat macht sich das in der Gemeinde gewachsene Unbehagen an der Offenen Arbeit zunutze, um diese Spannungen zu verstärken. Für das Ende der Offenen Arbeit in Halle-Neustadt bedarf es der Entfernung des Jugenddiakons aus seiner Dienststelle. Eine kirchenintern wirksame Diskreditierung seiner Person soll das leisten. Die Verhaftung von Mitgliedern eines Hauskreises gerät zum Anlass für die Inszenierung des Zerwürfnisses.

Dem Staat der Diktatur war der Betrieb der Offenen Arbeit am Rande seines städtebaulichen Prestigeobjekts nicht verborgen geblieben. Mit dem Ansturm der Massen konnte man sich der Aufmerksamkeit der Staatsmacht nicht mehr entziehen. Diese gab nach den 4. Werkstattagen ihre vordergründige Zurückhaltung gegenüber der Offenen Arbeit in Halle-Neustadt auf. Seit Ende 1977 war der Diakon Lothar Rochau bereits inoffiziell im Rahmen einer Operativen Personenkontrolle (OPK) und eines Operativen Vorgangs (OV) durch das MfS beobachtet und „bearbeitet“ worden. Spätestens seit Mitte 1978 sorgten mehrere IMs für stetige Informationen zu allen Aktivitäten der OA.

Alles legendiert (Früher Plan zur Bearbeitung der feindlich-negativen Person Rochau / Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/194/79, OV „Obstakel“, pag.18).

Der Operativplan der MfS-Kreisdienststelle Halle-Neustadt vom 20. 12. 1978 listet  das geplante Spitzelnetz auf: Die IM Willi Keller, Marco Petzner, Egbert Pahl und Frank Krüger sollen vorerst den Umgangskreis des Jugenddiakons aufklären und - unter Legende eingeführt - Vertrauen gewinnen, um später die Zielperson entsprechend vorgesetzter Anweisungen bearbeiten zu können.  Alles legendiert (Früher Plan zur Bearbeitung der feindlich-negativen Person Rochau / Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/194/79, OV „Obstakel“, pag.18).

Der Operativplan der MfS-Kreisdienststelle Halle-Neustadt vom 20. 12. 1978 listet das geplante Spitzelnetz auf: Die IM Willi Keller, Marco Petzner, Egbert Pahl und Frank Krüger sollen vorerst den Umgangskreis des Jugenddiakons aufklären und – unter Legende eingeführt – Vertrauen gewinnen, um später die Zielperson entsprechend vorgesetzter Anweisungen bearbeiten zu können

Seit Herbst 1979 schalteten sich offizielle Stellen hinzu. Gründe für ein direktes Eingreifen sah man vor allem im Auftritt der Liedermacherin Bettina Wegner und in der Ausstellung von Karikaturen des Erfurter Künstlers Alois „Ali“ Kuhn bei den 4. Werkstattagen. Sowohl die Texte der Sängerin als auch die Zeichnungen des Karikaturisten kritisierten offen die gesellschaftlichen Zustände in der DDR der Ära Honecker. Beide hatten bereits landesweit Auftritts- bzw. Ausstellungsverbot. Und auf den Werkstattagen nun bekamen sie eine Bühne! Ein Affront.

Aus einer Dienstanweisung des stellv. Vors. Rat des Bezirks Halle, Genossen Pöhner an die Abteilung Inneres in Halle-Neustadt. (Quelle: LHASA, MER, M 501, 3.Abl., Nr. 19379/6, pag.622).

Unmittelbar nach der Veranstaltung der 4. Werkstattage, am 22.10. 1979, wird der stellvertretende Bezirksratsvorsitzende für Innere Angelegenheiten, Genosse Pöhner, über deren Ablauf informiert: Der Auftritt der feindlich-negativen Liedermacherin Bettina Wegner konnte nicht verhindert werden. Zudem seien viele Karikaturen eines Erfurter Künstlers ausgestellt worden, der dafür bereits inhaftiert ist. Mit der Einschaltung der Bezirksratsebene kommt der Offenen Arbeit in Halle-Neustadt kirchenpolitische Brisanz zu. Weitere Vorgaben kommen binnen Wochenfrist aus Halle zurück.  Aus einer Dienstanweisung des stellv. Vors. Rat des Bezirks Halle, Genossen Pöhner an die Abteilung Inneres in Halle-Neustadt. (Quelle: LHASA, MER, M 501, 3.Abl., Nr. 19379/6, pag.622).

Unmittelbar nach der Veranstaltung der 4. Werkstattage, am 22.10. 1979, wird der stellvertretende Bezirksratsvorsitzende für Innere Angelegenheiten, Genosse Pöhner, über deren Ablauf informiert: Der Auftritt der feindlich-negativen Liedermacherin Bettina Wegner konnte nicht verhindert werden. Zudem seien viele Karikaturen eines Erfurter Künstlers ausgestellt worden, der dafür bereits inhaftiert ist. Mit der Einschaltung der Bezirksratsebene kommt der Offenen Arbeit in Halle-Neustadt kirchenpolitische Brisanz zu. Weitere Vorgaben kommen binnen Wochenfrist aus Halle zurück.

Entsprechend harsch reagierte der Staat mit Maßnahmen. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung wurden Vertreter der Gemeindeleitung und Jugenddiakon Rochau zur Aussprache einbestellt. Gefordert wurde, Bettina Wegner wieder auszuladen – oder: die Konsequenzen zu tragen!

Nach der Veranstaltung verschärften sich sowohl Ton als auch Gangart merklich. Die Gemeindeleitung musste sich den kirchenpolitischen Stellen der Abteilungen für Inneres von Stadt und Bezirk gegenüber in mehreren Aussprachen rechtfertigen. Sie hatte den Auftritt von Bettina Wegner bewilligt und es zugelassen, dass die „herabwürdigenden“ Karikaturen des zu dieser Zeit schon wegen staatsfeindlicher Hetze inhaftierten Ali Kuhns zur Ausstellung kamen.

Aus einer Gesprächskonzeption für die Abteilung Inneres/ Referat Kirchenfragen beim Rat der Stadt Halle-Neustadt zur Vorbereitung der Aussprache mit Vertretern der Gemeinde Halle-Neustadt (Quelle: SAPMO DO 4/ 83744/587/ 793).

Die staatliche Einschätzung der Offenen Arbeit in Halle-Neustadt ändert sich anlässlich der 4. Werkstattage im Oktober 1979. Das Auftreten gegenüber den hauptamtlichen Vertretern der Kirchengemeinde wird offensiv-fordernd. Eine nicht religiöse, sondern politische und damit genehmigungspflichtige, also ungesetzliche Veranstaltung gelte es zu verantworten. Wer Feinde der DDR offen unterstütze, gefährde das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Weil sich die Kirche dann unweigerlich in Angelegenheiten des Staats einmische.  Aus einer Gesprächskonzeption für die Abteilung Inneres/ Referat Kirchenfragen beim Rat der Stadt Halle-Neustadt zur Vorbereitung der Aussprache mit Vertretern der Gemeinde Halle-Neustadt (Quelle: SAPMO DO 4/ 83744/587/ 793).

Die staatliche Einschätzung der Offenen Arbeit in Halle-Neustadt ändert sich anlässlich der 4. Werkstattage im Oktober 1979. Das Auftreten gegenüber den hauptamtlichen Vertretern der Kirchengemeinde wird offensiv-fordernd. Eine nicht religiöse, sondern politische und damit genehmigungspflichtige, also ungesetzliche Veranstaltung gelte es zu verantworten. Wer Feinde der DDR offen unterstütze, gefährde das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Weil sich die Kirche dann unweigerlich in Angelegenheiten des Staats einmische.

Der staatlichen Einschätzung nach verstießen die 4. Werkstattage klar gegen die rigide Veranstaltungsverordnung für kirchliche Feiern. Der Vorwurf an die Gemeindeleitung lautete: es handelte sich um keine religiöse Veranstaltung, da politisch brisante Themen vermittelt worden waren. Daher hätte die Veranstaltung ordnungsgemäß angemeldet werden müssen. Ein solch schweres Versäumnis, so die vehement vorgetragene Forderung, dürfe sich nicht wiederholen. Geschickt wurde die Gemeindeleitung von den zuständigen kirchenpolitischen Stellen verantwortlich gemacht. Rigoros wurde das Ende solcher Veranstaltungen von der Kirchengemeinde gefordert. Es drohte eine massive Verschlechterung ihres Verhältnisses zum Staat.

Aus einer Information zur Aussprache der Abteilung Inneres in Halle-Neustadt mit der Gemeindeleitung am 30.10.1979 (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII 2665/ 81, OV „Prävention“, unpag.).

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Die Aussprache des Stadtrats, Abt. Inneres, Genosse Simon mit Gemeindeleitung und hauptamtlichen Mitarbeitern erfolgt am 30.10.79. Das Protokoll vom folgenden Tag hält die Präsentation der Karikaturen als inszenierte Überraschung fest. Ist das noch religiös? Und wenn nicht, warum wurde der Anmeldepflicht für die Veranstaltung nicht ordnungsgemäß nachgekommen? Wer verantwortet das? Einsicht soll aus Enttäuschung erwachsen.

Ab sofort mussten die Pläne für die Veranstaltung beim Stadtrat für Inneres vorgelegt werden. Zudem sollte die Gemeindeleitung zukünftig die Anwesenheit von Gästen, die staatlicherseits unerwünscht waren, im Voraus nicht nur melden sondern eigenständig verhindern. Trotz verschärfter Auflagen platzte die Kirche bei den 5. Werkstattagen im Mai 1980 mit ca. 700 Teilnehmern aus allen Nähten. So kamen zum Unmut in der Gemeindeleitung über den Ärger mit dem Staat pragmatisch drängende Sorgen hinzu. In der Folge übten die politisch verantwortlichen Stellen mit permanenten Aussprachen und teils fingierten Beschwerden gezielt Druck auf die Gemeindeleitung aus, sodass sie schließlich im Oktober 1980 die Werkstattage auf ihrem Gelände untersagte. Aus anfangs sachlichen Differenzen über die Gestaltung der Jugendarbeit und deren Politisierungsgrad waren ernsthafte Spannungen in der Kirchengemeinde entstanden.

Auf den fünften Werkstattagen 1980 (Foto: Andreas Baumgartner/ Privatarchiv: Carsten „Carlo“ Göthe).

Im Anschluss an die 5. Werkstattage im Mai 1980 wird von staatlicher Seite vermehrt auf die offenkundige Überlastung der Gemeindekapazitäten durch die Veranstaltung der Werkstattage auf dem Gelände der Passendorfer Kirche hingewiesen. Ein halbes Jahr später beschließt die Gemeindeleitung, die Werkstattage abzusetzen. Begründet wird die Entscheidung damit, dass sich weder der Besucherandrang beschränken noch die Politisierbarkeit der Veranstaltung verhindern lassen.  Auf den fünften Werkstattagen 1980 (Foto: Andreas Baumgartner/ Privatarchiv: Carsten „Carlo“ Göthe).

Im Anschluss an die 5. Werkstattage im Mai 1980 wird von staatlicher Seite vermehrt auf die offenkundige Überlastung der Gemeindekapazitäten durch die Veranstaltung der Werkstattage auf dem Gelände der Passendorfer Kirche hingewiesen. Ein halbes Jahr später beschließt die Gemeindeleitung, die Werkstattage abzusetzen. Begründet wird die Entscheidung damit, dass sich weder der Besucherandrang beschränken noch die Politisierbarkeit der Veranstaltung verhindern lassen.

Der „Störfall“ Offene Arbeit wurde in Halle-Neustadt vom Staat auf zwei Ebenen forciert. Auf der einen Seite sollte von den offiziellen kirchenpolitischen Stellen ein sogenannter Differenzierungsprozess aktiv betrieben werden. Dazu waren die bereits vorhandenen Meinungsverschiedenheiten und Spannungen in der Kirchengemeinde und innerhalb des kirchenleitenden Personals zu verstärken. Die Konflikte über die Umsetzung und den Politisierungsgrad der Jugendarbeit sollten, wenn möglich, bis zum Zerwürfnis zwischen Gemeindeleitung und Jugenddiakon getrieben werden.

Im Posteingang: Anweisungen vom Rat des Bezirks (Gesprächskonzeption für den Rat der Stadt Halle-Neustadt / Quelle: Stadtarchiv, Stadt Halle-Neustadt, AN 1.7, 2804, unpag.).

Am 17. Juni 1980 instruiert der Sektor Kirchenfragen beim Rat des Bezirks Halle den zuständigen Genossen in Halle-Neustadt für das im Nachgang der 5. Werkstattage geplante Gespräch mit Vertretern der Gemeindeleitung am 24.06. 1980 beim Rat der Stadt Halle-Neustadt. Eine Entpolitisierung der Veranstaltung und eine merkliche Reduktion des überregionalen Publikums scheinen nötig und machbar. Die Konzeption sieht vor, der Gemeindeleitung die Werkstattage als unkontrollierbares Risiko, also Handlungsbedarf zu präsentieren. "Im Hintergrund steht dabei das Anliegen, daß solche Veranstaltungen, wie die Werkstatt-Tage, nicht mehr stattfinden." Im Posteingang: Anweisungen vom Rat des Bezirks (Gesprächskonzeption für den Rat der Stadt Halle-Neustadt / Quelle: Stadtarchiv, Stadt Halle-Neustadt, AN 1.7, 2804, unpag.).

Am 17. Juni 1980 instruiert der Sektor Kirchenfragen beim Rat des Bezirks Halle den zuständigen Genossen in Halle-Neustadt für das im Nachgang der 5. Werkstattage geplante Gespräch mit Vertretern der Gemeindeleitung am 24.06. 1980 beim Rat der Stadt Halle-Neustadt. Eine Entpolitisierung der Veranstaltung und eine merkliche Reduktion des überregionalen Publikums scheinen nötig und machbar. Die Konzeption sieht vor, der Gemeindeleitung die Werkstattage als unkontrollierbares Risiko, also Handlungsbedarf zu präsentieren. „Im Hintergrund steht dabei das Anliegen, daß solche Veranstaltungen, wie die Werkstatt-Tage, nicht mehr stattfinden.“

Auf der anderen Seite sollte der durch das MfS inoffiziell eingeleitete Zersetzungsprozess strafrechtlich verwertbares Belastungsmaterial für eine wirksame Diskreditierung Lothar Rochaus und der Offenen Arbeit liefern. Die Doppelstrategie folgte einem Zweck – dem Ende der Offenen Arbeit in Halle-Neustadt. Hierfür war letztlich die Entfernung des Jugenddiakons aus seiner Dienststellung notwendig. Noch aber fehlte ein geeigneter Anlass.

Aus einem Zwischenbericht zum OV Obstakel vom 17. Juni 1980 (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/194/79, OV „Obstakel“, pag.91).

Mitte des Jahres 1980 vermerkt ein Zwischenbericht zum OV Obstakel, dass für das weitere Vorgehen "die gezielte Forcierung des Differenzierungsprozesses in der Gemeindeleitung der evangelischen Gemeinde Halle-Neustadt" von entscheidender Bedeutung sei. Nach den 5. Werkstattagen erscheint den staatlichen Stellen das Verhältnis zwischen der Gemeinde und ihrem Jugenddiakon als manipulierbar. Gleichzeitig versucht das MfS, mindestens den gerichtlich verwertbaren Tatbestand der Staatsfeindlichen Hetze nach § 106 zu präparieren.        Aus einem Zwischenbericht zum OV Obstakel vom 17. Juni 1980 (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/194/79, OV „Obstakel“, pag.91).

Mitte des Jahres 1980 vermerkt ein Zwischenbericht zum OV Obstakel, dass für das weitere Vorgehen „die gezielte Forcierung des Differenzierungsprozesses in der Gemeindeleitung der evangelischen Gemeinde Halle-Neustadt“ von entscheidender Bedeutung sei. Nach den 5. Werkstattagen erscheint den staatlichen Stellen das Verhältnis zwischen der Gemeinde und ihrem Jugenddiakon als manipulierbar. Gleichzeitig versucht das MfS, mindestens den gerichtlich verwertbaren Tatbestand der Staatsfeindlichen Hetze nach § 106 zu präparieren.

Anfang 1981 bot sich den staatlichen Stellen die entscheidende Gelegenheit. Mit der Eröffnung des Operativvorgangs „Konventikel“ ergab sich für den Staatsapparat die Möglichkeit, die Offene Arbeit in Halle-Neustadt zu zerschlagen. „Inoffiziell“ wurde bekannt, dass eine aus Freunden der OA bestehende Fünfergruppe einen kritischen Text über die Verhältnisse in der DDR verfasste. Auch Lothar Rochau arbeitete an diesem Vorhaben mit. Friedemann Rösel und Gunter Preine, zwei Mitglieder des kleinen Kreises, wurden verhaftet. Einer der Mitstreiter hatte sie verraten. Als IMB „Frank Krüger“ belieferte er nicht nur das MfS kontinuierlich mit Informationen, sondern war wesentlich dafür verantwortlich, dass die Zusammenkünfte konspirativ erfolgten, um den Straftatbestand der staatsfeindlichen Gruppenbildung zu erfüllen. Aber auch er wusste nicht, dass selbst die Wohnung für die Treffs verwanzt war.

Konspiration ist Provokation (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/405/81, OV „Konventikel“, unpag.).

Als die MfS-Bezirksverwaltung durch einen Vertrauten Lothar Rochaus Kenntnis davon erlangt, dass der Jugenddiakon in einem kleinen Kreis an einer Denkschrift über die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR arbeitet, wird ein neuer Operativvorgang eröffnet. Der Fall ist heikel: Der Vertraute ist ein IM der Kreisdienststelle Halle-Neustadt. Er darf durch das weitere Vorgehen nicht dekonspiriert werden. Gleichzeitig bietet der OV Konventikel die Chance, dem Jugenddiakon unmittelbar den Tatbestand der staatsfeindlichen Gruppenbildung nach §107 StGB gerichtlich verwertbar nachzuweisen. Eine nichtstrukturelle Arbeitsgruppe (NSAG) wird zur Betreuung des OV gebildet. Sie arbeitet in enger Kooperation mit anderen Bezirksverwaltungen und der Berliner Zentrale.    Konspiration ist  Provokation (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/405/81, OV „Konventikel“, unpag.).

Als die MfS-Bezirksverwaltung durch einen Vertrauten Lothar Rochaus Kenntnis davon erlangt, dass der Jugenddiakon in einem kleinen Kreis an einer Denkschrift über die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR arbeitet, wird ein neuer Operativvorgang eröffnet. Der Fall ist heikel: Der Vertraute ist ein IM der Kreisdienststelle Halle-Neustadt. Er darf durch das weitere Vorgehen nicht dekonspiriert werden. Gleichzeitig bietet der OV Konventikel die Chance, dem Jugenddiakon unmittelbar den Tatbestand der staatsfeindlichen Gruppenbildung nach §107 StGB gerichtlich verwertbar nachzuweisen. Eine nichtstrukturelle Arbeitsgruppe (NSAG) wird zur Betreuung des OV gebildet. Sie arbeitet in enger Kooperation mit anderen Bezirksverwaltungen und der Berliner Zentrale.

Anstelle den Jugenddiakon unmittelbar zu verhaften, wurde aus strategischen Gründen darauf verzichtet. Stattdessen setzte das MfS auf die nachhaltige „Differenzierung“ von OA, Gemeinde und Kirchenkreis sowie auf die „Zersetzung“ der Person Rochaus. Den Jugenddiakon schützte zu diesem Zeitpunkt zwar ein Stück weit seine kirchliche Anstellung vor dem direkten Zugriff der Staatsmacht, die allerdings war aufgrund der politischen Brisanz des Vorfälle – wie beabsichtigt – akut gefährdet.

Aus dem Abschlussbericht des OV Konventikel vom 29. August 1981 (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/405/81, OV „Konventikel“, pag.325).

Der Operativvorgang bringt in kurzer Zeit 6 Akten mit 1593 Blättern hervor. Und endet mit zwei Gefängnisstrafen. Lothar Rochau bleibt unbehelligt, auch um die staatliche Forderung nach einer innerkirchlichen Sanktionierung des Diakons wirksamer vortragen zu können. Eine Versetzung Rochaus - weg aus Halle-Neustadt - wird für die Zeit nach der Verurteilung von Preine und Rösel erwartet. Im Spätsommer 1981 ist sich das MfS seiner Sache so sicher, dass es den OV Konventikel abschließt, um den Diakon Rochau, Lothar bis zur Versetzung durch die KD Halle-Neustadt unter operative Personenkontrolle zu stellen.  Aus dem Abschlussbericht des OV Konventikel vom 29. August 1981 (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/405/81, OV „Konventikel“, pag.325).

Der Operativvorgang bringt in kurzer Zeit 6 Akten mit 1593 Blättern hervor. Und endet mit zwei Gefängnisstrafen. Lothar Rochau bleibt unbehelligt, auch um die staatliche Forderung nach einer innerkirchlichen Sanktionierung des Diakons wirksamer vortragen zu können. Eine Versetzung Rochaus – weg aus Halle-Neustadt – wird für die Zeit nach der Verurteilung von Preine und Rösel erwartet. Im Spätsommer 1981 ist sich das MfS seiner Sache so sicher, dass es den OV Konventikel abschließt, um den Diakon Rochau, Lothar bis zur Versetzung durch die KD Halle-Neustadt unter operative Personenkontrolle zu stellen.

In detailliert inszenierten Aussprachen konnte den Kirchenleitungsmitgliedern nun ein überambitionierter Jugenddiakon präsentiert werden: Aufgrund seiner feindlich-negativen Einstellung habe er seine Pflichten verletzt und Heranwachsende zu politischen Straftaten nach § 106 („Staatsfeindliche Hetze“) verleitet. Vom Bischof der Kirchenprovinz Sachsen forderte der Bezirksstaatsanwalt disziplinarrechtliche Konsequenzen. Beflissentlich vermerkt wurde eine Zusage der Prüfung entsprechender Maßnahmen bei strafrechtlichen Konsequenzen des Verfahrens. Es folgten kircheninterne Aussprachen zur Klärung des Sachverhalts mit und ohne den Jugenddiakon. Ein vom Bischof der KPS in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten empfahl die Versetzung Rochaus für den Fall der Verurteilung.

Unerhörte Vorgänge werden dem vorgeladenen Bischof zugetragen (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/405/81, OV „Konventikel“, pag.75).

Die Abteilung XX der BV Halle berichtet am 31. März 1981 von einem Spitzengespräch auf Bezirksebene der Kirchenpolitik. Dem Bischof der Kirchenprovinz Sachsen soll im Beisein des Propstes enthüllt werden, dass der Jugenddiakon in eine politische Straftat mit schweren Konsequenzen für die Beteiligten verwickelt ist. Wie man der Konzeption entnehmen kann, wird psychologisch wirksam eine Überraschung für die Zusammenkunft inszeniert: Die Konfrontation mit einer Enthüllung, erzwingt unmittelbar eine Stellungnahme.    Unerhörte Vorgänge werden dem vorgeladenen Bischof zugetragen (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII/405/81, OV „Konventikel“, pag.75).

Die Abteilung XX der BV Halle berichtet am 31. März 1981 von einem Spitzengespräch auf Bezirksebene der Kirchenpolitik. Dem Bischof der Kirchenprovinz Sachsen soll im Beisein des Propstes enthüllt werden, dass der Jugenddiakon in eine politische Straftat mit schweren Konsequenzen für die Beteiligten verwickelt ist. Wie man der Konzeption entnehmen kann, wird psychologisch wirksam eine Überraschung für die Zusammenkunft inszeniert: Die Konfrontation mit einer Enthüllung erzwingt unmittelbar eine Stellungnahme.

Oberkonsistorialrat Hammer, 1991 als Offizier im besonderen Einsatz (OibE) enttarnt, informierte die Kirchengemeinde Halle-Neustadt über die Verurteilung von Preine und Rösel zu je 30 Monaten Haft. Daraufhin beschloss die Gemeindeleitungssitzung Mitte Oktober, „daß die Jugendarbeit von Rochau nicht mehr verantwortet werden kann“. Die vom Konsistorium der Landeskirche in Magdeburg erbetene Empfehlung bestätigte diese Einschätzung nur. Die Gemeindeleitung Halle-Neustadt forderte nun vom Kreiskirchenrat die Entbindung Rochaus von seinem Amt. Alle Versuche, zwischen Kirchengemeinde und OA zu vermitteln, scheiterten. Der Kirchenkreis als Arbeitgeber des Jugenddiakons empfahl dem Geschassten daraufhin am 15. Februar 1982 den Stellenwechsel. Damit war die Entscheidung verbindlich.

Aus dem Gesprächsprotokoll einer Zusammenkunft von Bezirksstaatsanwalt und Bischof beim Rat des Bezirks Halle am 2. Februar 1982. Gleichen Datums erstellt (Quelle: BStU, MfS, KD Halle-Neustadt, VIII 561/81, OV „Prävention“, pag.246).

ge2_Dok20_Versetzung

Nachdem die Gemeindeleitung Halle-Neustadt Mitte Oktober 1981 beschlossen hat, die Jugendarbeit unter den gegebenen Umständen nicht mehr verantworten zu können und mehrere Vermittlungsversuche über den Jahreswechsel ergebnislos bleiben, muss sich der Kirchenkreis als Arbeitgeber Lothar Rochaus fristgemäß festlegen. Lässt sich eine andere Dienststelle für den Jugenddiakon und seine Offene Arbeit im Kirchenkreis einrichten? Eine Woche vor der anstehenden Beschlussfassung wird der Bischof der Kirchenprovinz Sachsen zu einer Aussprache nach Halle geladen. Eine wirksame Versetzung Rochaus, so die staatliche Position, sei vor allem um der Haftbedingungen der Verurteilten willen notwendig. Wirksam meint nun gegenüber dem Bischof: Nicht nur aus Halle-Neustadt – aus dem Kirchenkreis insgesamt versetzen!

Der „Differenzierungsprozess“ erwies sich für den Staat als Erfolg. Gemeindeleitung und Jugenddiakon hatten sich einander soweit entfremdet, dass ein Rückhalt durch die Kirchengemeinde in dieser Lage nicht mehr möglich schien. Doch wer hatte die Jugendlichen und Jungerwachsenen gefragt? Und was sollte nun aus der OA werden?